zum Projekt 'Konzeption, Entwicklung und Erprobung eines integrierten und kompatiblen patientenorientierten Dokumentationssystems'
Bereits in der Psychiatrieenquete (1975) und im Bericht der Expertenkommission zum Bundesmodellprogramm (1988) wurde die Datenlage zur psychiatrischen Versorgung als völlig unzureichend für eine adäquate Gesundheitsberichterstattung angesehen. Eine vom BMG finanzierte Strukturanalyse zur psychiatrischen Versorgung sollte dementsprechend Fehlerquellen in bestehenden Datensammlungen auch nur dokumentieren und nicht beseitigen (Rössler und Salice 1996).
Unverändert sind die bei den Leistungserbringern und Leistungsträgern vorhandenen Daten bruchstückhaft und unzusammenhängend, so dass sich in keiner Versorgungsregion hinreichende Aussagen über die Ist-Situation, geschweige denn die Bedarfsgerechtigkeit und Effizienz des Leistungsgeschehens machen lassen. Dies ist auch durch die zunehmende Anwendung elektronischer Datenverarbeitung (EDV) nicht wesentlich besser geworden, zumal die verschiedenen Akteure (Leistungserbringer und Leistungsträger) jeweils Einzellösungen anstreben, aus denen sich kaum je ein Gesamtbild erstellen lässt, weder auf der Ebene des Einzelfalls noch auf der der Region oder eines Landes.
Das Dokumentationskonzept für die psychiatrische Versorgung muss sich am Strukturkonzept für ein personenbezogenes Hilfesystem orientieren. Dies ist sowohl fachlich wie sozialrechtlich geboten:
- Zur Charakterisierung der einzelnen Klienten wie der zur Gruppenbildung wird eine Basisdokumentation personenbezogener Daten benötigt, die zumindest im Kernbereich bei den Leistungserbringern und Leistungsträgern übereinstimmt.
- Grundlage für Behandlung, Rehabilitation und Eingliederung ist eine zielorientierte, prozessbegleitende und handlungsleitende Dokumentation des Einzelfalls.
- Mit letzterer muss eine Leistungsdokumentation und
- die Dokumentation der für die verschiedenen Maßnahmen aufgewendeten Finanzmittel in Verbindung stehen.
- Schließlich ist die – unter Beachtung der Datenschutz- und Schweigepflichtsbestimmungen durchzuführende – Aggregation der Daten erforderlich im Sinne einer regionalen und landesweiten Gesundheitsberichterstattung.
Das Dokumentationssystem muss auf das Wesentliche beschränkt, überschaubar, anwenderfreundlich und letztlich zeitsparend sein. Es muss in seiner Grundstruktur leistungserbringer- und leistungsträgerübergreifend abgestimmt und EDV-gestützt sein.
2. Ziele und Aufgaben des Forschungsprojekts
Das Forschungsprojekt dient der Konzeption, Entwicklung und Erprobung eines integrierten Dokumentationssystems für die verschiedenen Bereiche des psychiatrischen Hilfesystems in einer Region. Mit den Ergebnissen des Projekts werden Leistungserbringer und Leistungsträger in die Lage versetzt, ihrer sozialrechtlichen Aufgabenstellung effektiver und effizienter gerecht zu werden. Kommunen und Länder können ihre gesundheits- und sozialpolitischen Aufgaben im Bereich der psychiatrischen Versorgung besser erfüllen.
Das integrierte Dokumentationssystem soll durchgehend EDV-gestützt und modular aufgebaut sein. Es soll bestehende Vorarbeiten auswerten und Weiterentwicklungen induzieren.
Schließlich sollen – in Kooperation mit dem BMG-geförderten Forschungsprojekt „Implementation des personenzentrierten Ansatzes“ – regionale Erprobungen unter Einbeziehung der Leistungserbringer und Leistungsträger der Region durchgeführt und ausgewertet werden. Datenschutz- und Schweigepflichtsbestimmungen sind von Beginn an zu berücksichtigen.
Das Dokumentationssystem umfasst folgende Ebenen:
2.1 Basisdaten
Die Basisdaten umfassen sowohl die üblichen personenbezogenen „Stammdaten“ (wie Geschlecht, Alter, Wohnort, Familienstand, Kostenträger u.ä.) als auch wichtige beschreibende Daten zur Lebens- und Krankheitsgeschichte, Lebenssituation.
Sie sind zu gliedern in einen für alle Beteiligten identischen Kernbereich und in ergänzende, nur für einzelne Leistungserbringer oder Leistungsträger bedeutsame Daten.
2.2 Prozessbegleitende Dokumentation von Behandlung, Rehabilitation und Eingliederung
Die Dokumentation soll in allen Arbeitsbereichen der Leistungserbringer problembezogen, ressourcen- und zielorientiert erfolgen. Ein hierfür beispielhaftes Instrument ist der Integrierte Behandlungs- Rehabilitations- und Eingliederungsplan (IBRP) der AKTION PSYCHISCH KRANKE, der inzwischen gerade auch für einrichtungsübergreifende Komplexleistungsprogramme eine breite Akzeptanz gefunden hat. Ein analoges Instrument für die ambulante, teilstationäre und vollstationäre Krankenhausbehandlung steht aus und ist zu erarbeiten.
Auch die prozessbegleitende Dokumentation soll aus einem leistungserbringerübergreifend verbindlichen Kern bestehen und durch spezielle Instrumente ergänzt werden können (z.B. diagnostische Instrumente, Ergebnisevaluation, Nutzerzufriedenheitserhebungen).
2.3 Leistungsdokumentation
Die Tätigkeitsprofile der Leistungserbringer sind in Leistungseinheiten zu gliedern, die sich nach inhaltlichen Kriterien und nach dem Ressourcenaufwand unterscheiden und zusammen das gesamte Leistungsgeschehen abdecken. Sie sollen zugleich eine klar definierte Beziehung zu den von den unterschiedlichen Leistungsträgern finanzierten Maßnahmen haben (z.B. als Teil einer tagesklinischen Behandlung). Inhaltlich einander entsprechende Leistungseinheiten verschiedener Maßnahmen sollen (möglichst) in gleicher Weise dokumentiert werden.
Die Leistungsdokumentation soll in der Regel gemeinsam mit der Prozessdokumentation erfolgen. Sie darf aus arbeitsökonomischen, aber auch aus Gründen der Übersicht nicht zu detailliert sein. Die Aggregation der Daten soll eine Transparenz schaffende Zusammenschau über das Leistungsgeschehen im Einzelfall, wie in verschiedenen Arbeitsbereichen oder in der Region ermöglichen.
2.4 Finanzierungsdokumentation
Die Dokumentation der Finanzierung der klientenbezogenen (Teil-)Maßnahmen ist einzelfallbezogen, einrichtungsbezogen und ggf. einrichtungsübergreifend (in der Versorgungsregion) durchzuführen, und zwar langfristig auch leistungsträgerübergreifend. Mittelfristig soll zunächst eine leistungsträgerbezogene Dokumentation ermöglicht werden (z.B. Eingliederungshilfe nach BSHG, ambulante, teilstationäre, vollstationäre Krankenhausbehandlung nach SGB V)
2.5 Gesundheitsberichterstattung
Zusammgefasste Datensätze der Ebenen 2.1 bis 2.4 sind ein wichtiger Teil regionaler Gesundheitsberichterstattung. Diese umfasst darüber hinaus Daten über die Bedarfslage (z.B. Versorgungslücken, Wartelisten, Fehlbelegungen) sowie über das Vorhandensein und die Ausstattung bestimmter Leistungsbereiche für definierte Zielgruppen und nicht zuletzt Daten zur regionalen Vernetzung.
Die Gesundheitsberichterstattung dient den Abstimmungsgremien und den Entscheidungsträgern aber auch in der öffentlichen Diskussion als eine Grundlage für die Weiterentwicklung des personenzentrierten psychiatrischen Hilfesystems.
Die Entwicklung eines personenbezogenen integrierten regionalen psychiatrischen Hilfesystems ist eine neue, jedoch unverzichtbare Aufgabe. Diese ist auch hinsichtlich der Dokumentation von hoher Komplexität, sowohl inhaltlich wie hinsichtlich der dafür erforderlichen Kooperation.
In dem für das Forschungsprojekt vorgesehenen Zeitraum sind erste grundlegende Entwicklungsschritte zu erreichen.
Am Ende des Projekts sollen Instrumente und Erfahrungen vorliegen, die es regionalen Gremien ermöglichen, sich unter mehreren konkurrierenden Dokumentationssystemen zu entscheiden, die aber sämtlich den aufgeführten Anforderungen entsprechen.
3. Durchführung des Projekts
Die Projektleitung übernimmt Herr Prof. Dr. Peter Kruckenberg, Bremen. Für die
Koordination der wissenschaftlichen Mitarbeit ist Herr Dipl. Soz. Christian Reumschüssel
Wienert vorgesehen. Es wird eine erweiterten Expertengruppe unter Einbeziehung von
Leistungserbringern, Leistungsträger, Gesundheitsverwaltung und Wissenschaft gebildet.
Die Arbeitsgruppe ist weitgehend identisch mit der Arbeitsgruppe des Forschungsprojekts „Implementation des personenzentrierten Ansatzes“ und damit derjenigen des BMG-geförderten Forschungsprojekts „Personalbemessung im komplementären Bereich der psychiatrischen Versorgung“. Durch das Anknüpfen an den Ergebnissen des Projekts „Personalbemessung“ und die Verzahnung mit dem Implementationsprojekt lassen sich erhebliche Vorarbeiten nutzen und Synergieeffekte erzielen. Alle Projekte dienten bzw. dienen der Konzeption und dem Aufbau eines regionalen Qualitätsmanagements, in dessen Rahmen einer funktional aufeinander abgestimmten und kompatiblen Dokumentation großes Gewicht beikommt.
Die erweiterte Expertengruppe wird den spezifischen Sachverstand zu Dokumentationsverfahren, leistungsbereichsspezifischen Anforderungen, EDV-Programmierung und Vernetzung sowie rechtlichen Aspekten zusammenführen.